Mal verliert man, mal gewinnen die anderen
Dienstag, 11. Juni 2019, 11:00 Uhr
Vorweg: Kroatien bietet an der Adria mit seinen vorgelagerten Inseln und lokalen thermischen Windeinflüssen ein geniales, aber auch extrem anspruchsvolles Segelrevier. Gerade das, was den Segelsport so anspruchsvoll und einzigartig macht, ist dem Team HEAT St. Pauli während der Offshore-WM 2019 zum Teil zum Verhängnis geworden. Wenn man Wettkampfsegeln versucht, stark zu vereinfachen, dann kann man vielleicht sagen, dass das Zusammenspiel der Crew, die Eingespieltheit der Manöver und der Bootsspeed stimmen muss. All dies sind die Grundvoraussetzungen für ein gutes Ergebnis.
Hinreichende Bedingung – notwendige Bedingung
Um diese Grundlagen in ein erfolgreiches Ergebnis zu verwandeln, bedarf es eines guten Starts und einer Vorstellung, wie sich der Wind im Rennverlauf ändert, weil dieser in den seltensten Fällen konstant in Richtung und Stärke ist. Ein fünf Grad Winddreher, hervorgerufen durch eine Wolke oder geografische Einflüsse wie eine Insel oder eine marginal ungleiche Windverteilung auf der Bahn können bereits für das Ergebnis entscheidend sein. Von einem schlechten Start ganz zu schweigen. Ist man nicht von Beginn an vorne mit dabei, wird es schwierig. Ähnlich wie bei der Formel 1 – wer von der Poleposition startet, kann frei fahren und taktieren. Jeder Gegner, der überholt werden muss, kostet wertvolle Zeit und die Runden sind begrenzt. Segelt man von Beginn an frei, kann man seine strategischen Überlegungen durchsetzen (vereinfacht: da hinfahren, wo man hin möchte), keiner oder wenige Gegner, die einen davon abhalten, die Winddreher optimal zu nutzen.
Zwei Tage nach der WM - mit etwas Abstand und weniger Emotionen - wird es Zeit für eine umfassende Analyse der Regatta. Fazit: Das Team HEAT St. Pauli ist weit hinter seinen Möglichkeiten zurückgeblieben. Vieles lässt sich relativieren oder schönreden, ändert aber nichts an der Leistung. Nach der misslungenen Langstrecke – hier der Bericht: KLICK! – haben sich das Team um Max Augustin noch einmal viel vorgenommen und versucht, die WM zu retten. Gerade am Donnerstag (6.6.) hätte das Team sehr viel Boden gutmachen können. Von anderen Teams wurde der Tag mit „extremen Bedingungen“ beschrieben. Zitat: „... bei 20+ Knoten Wind und ziemlich großen, steilen Wellen segelten wir heute wirklich am Limit. Bei uns blieb alles heile, bei vielen anderen Teams leider nicht. Lediglich ein Rennen konnte heute auf Grund der extremen Bedingungen durchgezogen werden...“
Für Augustin und die Crew sind genau diese Bedingungen das Nonplusultra mit dem ultimativen Spaßfaktor, wenn die HEAT durch die Wellen pflügt. Das Team beherrscht das Boot absolut sicher und auf dem Vormwindkurs, wenn der Wind von Hinten kommt, fliegt das Team mit dem großen Jolly-Roger-Spinnaker so zornig an den anderen vorbei, das auch schon mal die gegnerischen Teams applaudieren. Geplant waren an diesem Tag und „unseren Bedingungen“ drei Wettfahrten. Ausgerechnet an diesem Tag bekommt die Wettfahrtleitung jedoch die Startboote nicht vernünftig verankert, die die Startlinie bilden, die Team HEAT nach einem Fünf-Minuten-Countdown überquert.
Nach Meinung von Augustin und Co. ein Armutszeugnis, befanden sich das Team doch auf der Weltmeisterschaft und war der Wind genauso vorhergesagt. Das muss eine Wettfahrtleitung hinbekommen! Das Team segelte nur ein Rennen und beendete den Tag mit einem guten sechsten Platz. Mit Bleistift, Blatt Papier und Taschenrechner lässt sich abschätzen, dass mit drei Rennen an dem Tag wahrscheinlich leicht und locker in die Top 15 zurückgerast hätte werden können. Das wäre nicht nur für das Ergebnis wichtig gewesen, sondern auch für die Psyche.
Nach der schmerzhaften Grundberührung in der Nacht auf der ersten Langstrecke hatte nicht nur das Boot, sondern auch das so wichtige Selbstvertrauen des Taktikers und Navigators Julian einen mächtigen Knacks erlitten. Als Crew und Team hatte die HEAT an dieser Stelle versagt! Julian hatte in den darauffolgenden Tagen das Gefühl, dass das Vertrauen der Crew in Ihn verloren gegangen war, weil so ein Fehler in der Nacht nicht passieren darf. Anstatt darüber zu sprechen, wurde das Problem jedoch unterdrückt.
In den folgenden Rennen fehlte es an Risikobereitschaft und Willen zu wichtigen Zweikämpfen. Es passierten Folgefehler, die so noch nie passiert sind. Wenn man so will, war das Team mit einem 0:5-Rückstand in die Halbzeit gegangen. Natürlich war der „Trainer“ Schuld. Die richtige Aussprache hat leider erst nach der WM stattgefunden. Ein fundamentaler Fehler, der dem Team sicher nicht noch einmal passieren wird!
Aber Hand aufs Herz: Die Crew hat ein generelles Problem mit diesen Langstrecken, das auch im Design der HEAT begründet ist. Die wenigsten Menschen dieser Welt können unter körperlicher Belastung wohl 30 Stunden am Stück hoch konzentriert ihre Arbeit verrichten. Daher ist es ratsam, sich nicht vollständig zu verausgaben, bevor man sich die erste Pause gönnt. Schlafen auf der HEAT ist aber so eine Sache. Das Boot ist im Vergleich zu anderen Wettbewerbern eher extrem. Klein, leicht, nass und ohne Komfort. Das Design erfordert bereits ab geringen Windgeschwindigkeiten das volle Crewgewicht auf der Kante, damit das Boot aufrecht und so möglichst schnell an der Kreuz segelt. Geht jemand unter Deck, um sich auszuruhen, macht sich dies augenblicklich beim Speed bemerkbar.
Ein Effekt, der bei den Wettbewerbern nicht in dieser Härte zum Tragen kommt. Die meisten Boote in der Klasse der HEAT wiegen ein Vielfaches und das Crewgewicht spielt eine nicht so entscheidende Rolle. Ruht sich dort jemand unter Deck aus, kommt er nach zwei Stunden erholt zurück, ohne dass das Boot merklich langsamer geworden ist. Ein weiterer Faktor war die ungleiche Verteilung von Vorwind- zu Kreuzkursen. Die HEAT liebt es, wenn der Wind von hinten kommt und weniger den Wind von vorne. Doch genau das Gegenteil war der Fall. Der Wind drehte in der Nacht um fast 180 Grad, während das Team dabei war, eine Wendemarke zu passieren, zu der es mühsam gekreuzt war. Statt der erhofften Belohnung endlich wieder mit Wind von hinten zu segeln, kreuzten das Team wieder stundenlang zurück. Es hätte ja bitte genau andersherum sein können.
Segeln bleibt ein Sport, der von der Natur abhängig ist. Die Crew hat Lösungsansätze definiert, mit denen es sich für die kommenden Langstrecken besser aufstellen will. Die wird das Team auf der deutschen Meisterschaft im Juli umsetzen, testen und validieren, bevor es im August in Schweden um den Europameistertitel geht. Immerhin: Kroatien und Schweden ähneln sich stark, ein anspruchsvolles Revier mit vielen Inseln und Felsen unter Wasser. Ob das ein Vorteil ist, sei dahingestellt, Augustin und Co. wollen aber ihre Lektion gelernt haben.
Die Stärke des Teams liegt jedoch bei den kurzen, knackigen Rennen, bei denen schnelle Entscheidungen getroffen werden müssen. Gemessen an der Strecke werden hier mehr Manöver gesegelt, die sitzen müssen. Über das Event hinweg hat das Team auch die so wichtigen Starts weiter optimiert – und dennoch ist es mit den Ergebnissen nicht zufrieden. Trotz aller Selbstkritik landete das Team am Ende im soliden Mittelfeld. Weder vom Abstieg bedroht noch in Reichweite zu den Champions-League-Plätzen belegte es Platz 23 von 50 Startern. In der Amateurs Wertung sprang Platz 8 von 27 Teilnehmern heraus, die Europa-Cup-Ränge in Sichtweite. Trotz der vielen Fehler und dem durchwachsenem Ergebnis auf dem Papier hat das Team HEAT St. Pauli aus der Weltmeisterschaft viel Wertvolles mitgenommen, der Teamzusammenhalt wurde gestärkt und zuversichtlich in die verbleibende Saison mit St. Pauli an unserer Seite geblickt.
Noch eine Anmerkung am Rande, die dem Team wertvolle Punkte gekostet hat: Nicht nur im Fußball sind FairPlay-Regeln wichtig. Bei 50 Booten auf dem Parcours ist es unausweichlich, dass sich Boote ab und an sehr nahekommen. Dafür gibt es dann ein sehr präzises Regelwerk, das die Vorfahrt in den jeweiligen Situationen regelt. Leider wird dies nicht von allen Teilnehmern gelebt, dabei ist es die Grundlage für guten Sport. In diesem Sinne: bleibt sauber!
YNWA – das Team HEAT St. Pauli
Fotos: Felix Diemer