"Depression ist eine stille Krankheit"
Sonntag, 10. November 2019, 11:12 Uhr
Am Sonntag (10.11.) jährt sich der Todestag von Robert Enke zum zehnten Mal. Wir haben mit der Initiative "St. Depri - Wir sind immer für uns da e.V." in einem Interview über die Volkskrankheit Depression gesprochen.
An diesem Wochenende jährt sich der Freitod des an Depressionen erkrankten Robert Enke. Was bedeutet diese Tragödie für den deutschen Fußball, aber auch gesellschaftlich?
Der Freitod von Robert Enke hat die Welt des Fußballs in Deutschland seinerzeit schwer erschüttert. Enke stand kurz davor, bei der Weltmeisterschaft in Südafrika zu spielen; nach einer schwierigen Zeit in seiner Karriere hatte er bei Hannover 96 wieder Aufschwung bekommen. Nach außen hin wirkte es, als könne es nicht besser laufen. Vielleicht war es gerade diese Außenwirkung, die dazu beitrug, dass sein Suizid einen doch bleibenden Effekt in Deutschland hinterlassen hat. Denn hier zeigt sich eine der größten und schwerwiegendsten Problematiken rund um das Thema Depressionen: Viel zu häufig ist Depression als Krankheit unsichtbar. Die Schwere und den Leidensdruck kennen oft nur die Betroffenen alleine. Depression ist eine stille Krankheit, nach außen manchmal völlig unsichtbar. Der Suizid von Robert Enke hat in diesem Moment aufgrund dessen Position im öffentlichen Interesse eines sichtbar gemacht: Es ist eine tödliche Krankheit!
Nicht nur der deutsche oder internationale Profifußball und Leistungssportverbände bis hin zum kleinsten Sportverein, sondern die ganze Gesellschaft müssen an der Wahrnehmbarkeit und Akzeptanz sowie Anerkennung von Depression als schwerwiegende Krankheit und den entsprechenden Umgang mit Betroffenen noch sehr viel arbeiten.
Der Freitod von Robert Enke vor zehn Jahren hat dieses Thema zumindest in diesem Moment in Deutschland auf die Agenda gesetzt. Vereine, Verbände, Fanszenen, SpielerInnen, TrainerInnen und die gesamte Gesellschaft sind in der Verantwortung, das nicht zu vergessen und stetig daran zu arbeiten.
Ist aus Eurer Sicht der Umgang mit psychischen Erkrankungen offener geworden?
Leider nur geringfügig, da ist noch viel Platz nach oben. In der Gesellschaft ist es vielleicht etwas besser geworden, man ist offener, aber was den Profisport angeht, leider noch nicht. Unser Respekt geht an alle ProfisportlerInnen und Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, die ihre psychischen Probleme offenlegen.
Ist Leistungsdruck Auslöser und/oder gar Verstärker einer Depression?
Leistungsdruck, unabhängig ob bei Profifußballern oder „normalen" ArbeitnehmerInnen kann Depressionen auslösen oder eine bereits minimal vorhandene Depression verstärken. Selbst kurzfristiger Leistungsdruck kann diesen Effekt haben. Die Gesellschaft, in der wir leben, hat eine klare Verknüpfung von Leistung und Wert des Einzelnen. Sie ist darauf ausgelegt, dass Mensch „funktioniert“. Wenn Menschen aus verschiedensten Gründen das nicht tun, wird dem Individuum auf diversen Ebenen suggeriert, nicht wertvoll zu sein. Die Anerkennung von Depression als Krankheit und die Sensibilisierung für diese Thematik ist essentiell, um dieser negativen Verstärkung entgegenzuwirken.
Wann erkenne ich für mich, wenn ich erkrankt bin und wo bekomme ich Hilfe?
Auch da sind Menschen unterschiedlich. Manche haben eine Lustlosigkeit, eine Antriebslosigkeit, isolieren sich, meiden Kontakte. Manch einer schläft viel und hat keinen Antrieb aufzustehen. Der erste Weg aus diesem Zustand ist, sich einzugestehen, dass man gerade nicht gut „funktioniert“ und sich Hilfe holt. Da gibt es viele Anlaufstellen: Beratungsstellen, Telefonseelsorge, TherapeutInnen. Oder man nutzt unser Angebot, wir stehen mit Rat und Tat zur Seite. Wichtig ist, diesen ersten Schritt zu gehen.
Mit St. Depri hattet Ihr gerade den fünften Jahrestag Eures Bestehens. Wie hat sich Eure Arbeit verändert?
Wie erreichen Euch Menschen und welche Angebote habt Ihr derzeit?
Die Idee, aus der St. Depri, wie es heute ist, entstand, war damals noch gar nicht so groß und umfangreich. Wir wollten mit der Plakatkampagne Menschen im Umfeld des FC St. Pauli für die Themen Depression und psychische Erkrankungen sensibilisieren. Der Ort der Plakate wurde daher auch so gewählt, wie er bis heute beibehalten wurde: Die Plakate hängen ausschließlich innerhalb der Toilettenkabinen. Der einzige Ort in einem Stadion, wo an Spieltagen bis zu 30.000 Menschen zusammen sind, wo jede und jeder von uns für einen kurzen Augenblick vollkommen alleine ist. Vollkommen ab von Blicken, Kommentaren und Meinungen anderer Menschen und wo die Möglichkeit besteht, mit sich selbst und der Thematik sehr ehrlich umzugehen.
Welche Möglichkeiten habt Ihr noch, um auf die Krankheit aufmerksam zu machen?
Der Stammtisch, bei dem wir monatlich Informationen weitergeben zum Themenfeld Depression (Symptome, Medikamente, Behandlungsmöglichkeiten usw., aber auch andere Themen im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen) dient der Sensibilisierung. Wir wollten von vorneherein nicht nur mit direkt Betroffenen arbeiten, sondern auch Angehörigen, FreundInnen und Interessierten eine Anlaufstelle bieten. Ein hilfreiches Umfeld für erkrankte Menschen ist im Idealfall ein aufgeklärtes Umfeld: Menschen, die zumindest grundsätzlich über Symptome, Hilfesystem und Kommunikationsmöglichkeiten informiert sind.
Die Vielzahl der Angebote, die St. Depri jetzt nach fünf Jahren anbietet, ist über die Jahre entstanden: Sport, weil Bewegung durch körpereigene Hormone gegen Depression helfen kann. Der „Brieföffner“, weil auch Menschen im Team von St. Depri irgendwann mal vor dem Problem standen, Post nicht mehr öffnen zu können und anderen, denen es genauso geht, eine Anlaufstelle bieten wollten. Ebenso entstand das Patinnen- und Patenprojekt. Wenn wir Menschen, denen es schwerfällt, sich zum Gang ins Stadion aufzuraffen, helfen können, den Stadionbesuch wieder positiv zu besetzen, haben wir etwas erreicht. Yoga, PME und das Musikangebot wurden eher von außen als Wunsch an St. Depri herangetragen und mit viel Elan in die Tat umgesetzt.
Welchen Stand hat St. Depri in der Fanszene?
In der Öffentlichkeitsarbeit wurde St. Depri von Anfang an aus den unterschiedlichsten Teilen der Fanszene unterstützt. Anfragen für Spendensammlungen, Infotische und Kooperationen werden bis heute häufig an uns herangetragen und St. Depri dadurch von der Fanszene und dem Verein immer stark unterstützt. Ohne diesen andauernden Support wären wir vermutlich nicht in so kurzer Zeit so weit gekommen. Danke! Nach und nach ist St. Depri mit all seinen Angeboten zu dem gewachsen, was wir heute als Verein sind. Und unsere Arbeit ist noch lange nicht beendet!
(mt)
Foto: Witters