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Gedenken an jüdische Sportler*innen auf dem Trainingsgelände Kollaustraße

Von 1934 bis 1938 befand sich auf dem heutigen Trainingsgelände des FC St. Pauli die Sportplatzanlage der jüdischen Sportgruppe „Schild“. Seit dem vergangenen Wochenende erzählt eine Gedenktafel von ihrer Geschichte. Am Sonntag (7.7.) weihte eine Gruppe geladener Ehrengäste die Tafel ein – unter ihnen der Holocaust-Überlebende Ivar Buterfas-Frankenthal, seine Frau Dagmar sowie Vertreter*innen von FC St. Pauli, FC St. Pauli-Museum, Fanladen und Fanszene.

„Im Andenken an den ungebrochenen Lebenswillen der jüdischen Jugend in Hamburg von 1934 bis 1938“, heißt es an zentraler Stelle auf dem Gelände – ein Zitat von Harry Goldstein, Mitgründer und Leiter der Sportgruppe „Schild“, die sich im Juni 1933 unter dem Dach des „Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten” gegründet hatte.

Hintergrund war der Machtantritt der NSDAP im Januar 1933, in deren Folge bürgerliche Sportvereine begannen, ihre jüdischen Mitglieder auszuschließen. Viele betroffene Sportler*innen wechselten daraufhin zu jüdischen Sportvereinen, die rasch wuchsen – und entsprechenden Bedarf an Sportanlagen hatten. Jüdische Sportler*innen pachteten einen Sportplatz in Hamburg-Lokstedt und bauten ihn zu einem modernen Sportgelände aus, unterstützt durch Spenden der Jüdischen Gemeinde. Auf 20.000 Quadratmetern entstanden zwei Plätze für Hockey, Handball, Fußball und Leichtathletik. 

Vizepräsident Jochen Winand im Gespräch mit dem Holocaust-Überlebenden Ivar Buterfas-Frankenthal und dessen Frau Dagmar.

Vizepräsident Jochen Winand im Gespräch mit dem Holocaust-Überlebenden Ivar Buterfas-Frankenthal und dessen Frau Dagmar.

Historischer Jahrestag
vor 90 Jahren

Die Einweihung der Gedenktafel 2024 lehnte sich an ein historisches Ereignis an: Am 8. Juli 1934, vor fast genau 90 Jahren, hatte die Sportgruppe „Schild“ ihre Sportplatzanlage eröffnet. Mehrere Redner*innen erinnerten an dieses Ereignis, gedachten der jüdischen Sportler*innen und unterstrichen, dass das Motto „Kein Vergeben. Kein Vergessen.“ für den FC St. Pauli von zentraler Bedeutung ist.

Nach Einleitungs- und Dankesworten des Museumsvorstands Sönke Goldbeck, der auch den wichtigen Anteil des Bauunternehmens Gauger + Röhrs an der ebenso sorgfältigen wie schnellen praktischen Umsetzung unterstrich, sprach Vizepräsidentin Luise Gottberg für das Präsidium des FC St. Pauli. Thomas Glöy und Christopher Radke, mit Celina Albertz das Forschungsteam des FC St. Pauli-Museums, stellten die Recherchearbeit des Museums vor, die bereits die viel beachtete Ausstellung über den jüdischen Fußballer und Arzt Max Kulik und die Biografie-Rekonstruktion zu Selig Cahn ermöglichte. In einem Video-Grußwort erinnerte Ron Cossen, Sohn des „Schild“-Mitgründers Alfred Cossen, an die Entstehung der Sportgruppe: „Zweifellos war die Gründung des Sportvereins ‚Schild‘ ein sehr wichtiges Kapitel im Leben meines Vaters. Anfang 1933 verlor Alfred keine Zeit, seine Leidenschaft auf den jüdischen Sport zu übertragen.“

Im Sommer 1934 zählte die Sportgruppe „Schild“ bereits mehr als 700 Mitglieder. Der Eröffnungstag war seinerzeit ein viel beachtetes Ereignis: „Fast 1000 Jüdinnen*Juden bildeten das begeisterte Publikum“, so die Historikerin Frauke Steinhäuser in ihrer Ansprache. Wie die ebenfalls anwesende Historikerin Claudia Bade hatte Steinhäuser bereits frühzeitig zur Geschichte des Geländes recherchiert und so wichtige Grundlagen zur Realisierung der Gedenktafel geliefert.

Von der Einweihung des „Schild“-Geländes zeichnete Frauke Steinhäuser ein lebendiges Bild: „Sportler*innen aller Altersklassen waren ebenso dabei wie Vereinsfunktionäre, Familienangehörige und Freund*innen, Mitglieder der Hamburger jüdischen Gemeinde und des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten als Dachverband der Sportgruppe sowie Abgesandte weiterer jüdischer Organisationen. Hinzu kamen Vertreter*innen von Bar Kochba, des zweiten großen jüdischen Sportvereins damals in Hamburg.“

1934: Demonstration
jüdischen Selbstbewusstseins

In einem ausführlichen Artikel mit vielen Fotos, so Frauke Steinhäuser weiter, berichtete die jüdische Zeitung „Hamburger Familienblatt“ auf der Titelseite, dass die Anlage sich „in ihrer ganzen, geradezu überwältigend idealen Schönheit“ präsentiert habe. Das Pathos des Artikels dürfe dabei auch als Reaktion verstanden werden auf die „erheblichen antisemitischen Maßnahmen und Anfeindungen“, denen die jüdische Bevölkerung in Deutschland ab 1933 ausgesetzt war.

„So demonstrierte eine derart große Versammlung von Jüdinnen und Juden im öffentlichen Raum wie die Sportplatzeinweihung nicht nur nach außen hin Selbstbewusstsein. Sie sollte auch innerhalb der jüdischen Bevölkerung für ein Zusammengehörigkeitsgefühl sorgen und angesichts permanenter Diffamierungen Stolz auf die eigene Leistung wecken.“

Ab Oktober 1936 trainierte und spielte mit „Blau-Weiß“ ein weiterer jüdischer Verein an der Kollaustraße. Für seinen eigenen Platz hatte er ein Areal direkt neben der „Schild“-Anlage gepachtet. Die Fußballmannschaften von „Schild“ und „Blau-Weiß“ gehörten zwischen 1933 und 1938 zu den erfolgreichsten jüdischen Teams im Deutschen Reich.

Der Holocaust-Überlebende Ivar Buterfas-Frankenthal sitzt gemeinsam mit seiner Frau Dagmar vor der Gedenktafel.

Ivar Buterfas-Frankenthal und seine Frau Dagmar vor der Gedenktafel.

Wichtiges Zeichen
gegen Antisemitismus

Bis zu den Olympischen Spielen 1936 in Berlin hatte eine relative Schonung der jüdischen Sportgruppe noch ein regelmäßiges Sportleben erlaubt. Nach den Spielen änderte sich das tiefgreifend. Die Repressalien des NS-Systems trafen nun auch den jüdischen Sport in ihrem vollen Ausmaß. Am 4. September 1938 markierte ein großes Jugendsportfest auf dem „Schild“-Platz einen letzten Höhepunkt. Dann fand die jüdische Sportbewegung mit den Novemberpogromen 1938 ein jähes Ende. Das NS-Regime verbot Juden, öffentlich Sport zu treiben. Jüdische Vereine wurden zwangsweise aufgelöst und die Vermögen beschlagnahmt. Ende 1941 beendete Hamburgs letzte jüdische Sportgruppe ihre Aktivitäten.

„Bis heute haben nur sehr wenige Hamburger Sportvereine mit NS-Geschichte diese aufgearbeitet“, so Frauke Steinhäuser. „Ausnahmen bilden der HSV, der ETV, der Hamburger Schachklub, der Hamburg-Harvestehuder Turnverein und der FC St. Pauli.“ Gerade angesichts des weltweit wieder dramatisch zunehmenden Antisemitismus biete eine solche Aufarbeitung eine Chance, sich klar zu positionieren. „In diesem Zusammenhang können eben auch Informationstafeln wie die heute eingeweihte ein wichtiges Zeichen setzen.“

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Weitere Links zum Thema:

 

Text: 1910 e.V.

Fotos: FC St. Pauli

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