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Vor dem Ende wird gespielt

Endspiel - das menschliche Dasein als Grenzsituationen zwischen Sieg und Niederlage, respektive „Tod oder Gladiolen“, wie ein niederländischer Feldmarschall betonte, solche Szenerien kennen Sport und Literatur. Der 34.Spieltag der 2.Bundesliga ist der Höhepunkt der Saison und tischt ein denkbar spannendes Endspiel auf. Sechs Mannschaften fürchten den Abstieg, drei begehren den Aufstieg. Die von der Drittklassigkeit bedrohten Kiezkicker müssen beim Aufstiegsaspiranten SV 98 Darmstadt ran (So. 24.5., 15:30 Uhr). Ein Fest für alle Fußballanhänger, ein Happening für alle Fußballromantiker.

Jedem Endspiel liegt ein Zauber inne, jedem Finale etwas Dramatisches. Die Zuschauer im Darmstädter Stadion am Böllenfalltor werden am Sonntag (24.5., 15:30 Uhr) Zeugen eines nervenzerreißenden Schlussaktes einer ohnehin aufwühlenden Spielzeit. Ein absolutes Endspiel, bei dem für Gast und Gastgeber alles auf dem Spiel steht. Ein apokalyptisches Szenario literarischen Ausmaßes.

"Es geht ums Überleben", konstatiert FC St. Pauli-Chefdramaturg Ewald Lienen. In seinem Bühnenwerk vertraut er einer Einheit filigraner Kraftmenschen, die in ihrem Schaffen eine verblüffende Beharrlichkeit an den Tag legen. Zuletzt sieben Auftritte mit 15 Zählern und dennoch ist nichts entschieden, der Ligaverbleib nicht gesichert. Ausdauernd und geduldig mühen sie sich ab, stets auf der Suche nach einem Ausweg aus ihrem Dilemma. Ein Sextett an Mannschaften hofft und bangt zugleich im Keller. Am letzten aller Spieltage spitzt sich die Lage zu. Lienens Ensemble spielt in Darmstadt. Ein Entscheidungskampf bei den Lilien. Zu gerne hätte er auf dieses Finale verzichtet, lieber bereits die wichtigen Punkte auf dem Konto und ein anderes Stück inszeniert: "Aber wir haben es verpasst, über die Saison hinweg die Punkte zu holen. Daher sind wir noch nicht gerettet", so Lienen.

Im finalen Aufzug bekommen es seine Spieler mit einer Auswahl zu tun, die längst in den Tiefen der Viertklassigkeit versunken war, gespickt mit Abenteuern des Fußballsports, die als Blinde und Gelähmte abgestempelt worden waren, als "Verstoßenen und Gescheiterte" in Südhessen Zuflucht fanden und dort die Freude an ihrem Spiel wiederentdeckten.

Der Übungsleiter, Dirk Schuster, von dem es heißt, er sei in den 90er Jahren der härteste Verteidiger der Republik gewesen, der einzige, vor dem Ulf Kirsten Angst gehabt habe, setzt sie in Szene. 
Dieser Vater des Erfolges lehrte sie die Werte Zusammenhalt und Teamgeist, schärfte ihnen ein, im Kampf ums Überleben härter und aggressiver aufzutreten, ganz gleich in welcher Klasse. Die Lilien blühten auf und fuhren allen Schmährufen zum Trotz Sieg um Sieg ein. Spätestens der denkbar knappe Aufstieg in der Relegation gegen Bielefeld ließ die Mannschaft an Schusters Idee glauben: "Mentalität schlägt Qualität." In der zweiten Liga mussten sie nicht ein einziges Mal vor der schieren Qualität des Gegners kapitulieren, nicht ein einziges Mal die weiße Fahne hissen. Vielmehr klopfen sie dank Engagements und Kampfgeistes an die Tür zu Liga eins. Mit drei Punkten wäre die Schwelle übertreten.

Diesem Vorhaben stellen sich Lienens Mannen am Sonntag (24.5.) keck entgegen. Nach den Nahtoderfahrungen im eisigen Winter kamen sie umso entschlossener zurück und offenbarten ähnlichen Zusammenhalt wie der Widerpart aus Darmstadt. "Wir haben so viele Rückschläge erlebt und haben uns da raus gearbeitet", resümierte Lienen, der seinen am Boden liegenden Kiezkickern wieder auf die Beine half. Nun entscheidet der letzte Auftritt über Leben und Tod. Dichtung und Wahrheit. Im Fußball liegen sie auf dem Platz.

 

 

 

Weitere Fakten zur Partie gegen Darmstadt

Darmstadt ist das beste Rückrunden-Team der Liga (27 Punkte, wie Kaiserslautern und
Ingolstadt). St. Pauli belegt in der Rückrunde mit 24 Punkten Rang fünf.

Am Böllenfalltor sind die Lilien seit elf Partien ungeschlagen (sechs Siege, fünf Remis) und verloren
ohnehin nur ein einziges Heimspiel in dieser Spielzeit – beim 1:4 gegen Düsseldorf am 9. Spieltag (dazu zehn Siege, fünf Remis).

In diesem Duell treffen die torgefährlichsten Abwehrreihen der Liga aufeinander. Darmstadts Verteidiger erzielten schon 15, die von St. Pauli elf Treffer.

Die Mannschaft von Ewald Lienen ist gut drauf und hat die vergangenen drei Partien allesamt gewonnen.

In den letzten sieben Partien gelangen den Kiezkickern im Schnitt 2,0 Tore pro Spiel (insgesamt
14). In den 26 Spielen zuvor war es genau ein Treffer pro Partie gewesen (insgesamt 26).

In Darmstadt blieb St. Pauli in fünf Duellen (einmal DFB-Pokal, sonst viermal 2. Liga) sieglos und
kassierte drei Niederlagen. In der Zweitliga-Gesamtbilanz liegt St. Pauli mit vier Siegen knapp
vorn (zwei Remis, drei Niederlagen). Das Hinspiel gewann Darmstadt 1:0.

Die zwölf Kopfballtreffer der Lilien sowie zwölf Tore im Anschluss an Ecken sind Top-Wert in der
2. Liga. Nur der FC Ingolstadt erzielte mehr Tore nach ruhenden Bällen (25) als Darmstadt
(22).

Mit einem Sieg stiegen die Lilien sicher als Tabellenzweiter in die Bundesliga auf. St. Pauli
hingegen würde mit einem Sieg definitiv in Liga zwei verbleiben.

 

 

(pl)

Fotos: Witters

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