FCSP statt Premier League
Freitag, 21. März 2014, 08:54 Uhr
Hallo Nick, für viele deutsche Fußballfans hat die Premier League einen beinahe legendären Ruf. Du schaust Dir lieber Spiele in der 2. Bundesliga beim FC St. Pauli an. Wie kommt das?
Mein ursprünglicher Club Watford FC war zeitweilig in der Premier League, und während dieser Spielzeiten dämmerte es mir, wie unfair diese Liga geworden ist. Wenn dein Club nicht von einem Multimillionär unterstützt wird, hast du so gut wie keine Chance. Und wegen der gestiegenen Ticketpreise, dem Verlust der Stehplätze und einer allgemeinen Gentrifizierung des Fußballs haben die meisten Premier-League-Stadien so gut wie keine Atmosphäre mehr. Weil einige der weltbesten Spieler in englischen Clubs spielen und aufgrund der enormen TV-Präsenz glauben viele, die Premier League sei die „beste Liga der Welt“. Doch das ist einfach nicht wahr, besonders aus Fan-Perspektive.
Warum gerade der FC St. Pauli?
Als ich 2006 einen Artikel in der Zeitschrift „FourFourTwo“ über den FC St. Pauli las, wollte ich mehr wissen und die Stimmung am Millerntor kennenlernen. Ich hatte den Eindruck, dass die politischen Überzeugungen vieler Fans und ihr entschiedenes Eintreten gegen Faschismus, Rassisums, Sexismus und Homophobie meinen persönlichen Idealen entsprachen. Alles, was ich seitdem erlebt habe, hat meine ursprünglichen Gedanken bestätigt. Ich komme wegen der Atmosphäre im Stadion, der Solidarität unter den Fans und wegen des Gemeinschafts- und Zusammengehörigkeitsgefühls, das der Club auslöst.
Hast Du die Reise ans Millerntor schon einmal bereut?
Nein. Als ich beschloss, regelmäßig rüber nach Deutschland zu kommen, habe ich mir geschworen, dass ich mich niemals über Ergebnisse aufregen würde. Du kannst nicht 1.300 Kilometer anreisen und dann durchdrehen, nur weil die Mannschaft mal verliert (schmunzelt). Mir gefällt, dass Ideale beim FC St. Pauli oft ebenso wichtig sind wie Ergebnisse. Im Oktober war ich zum Beispiel beim 0:0 gegen Sandhausen. Das Spiel war miserabel, aber die anschließende Demonstration zur Unterstützung der Lampedusa-Flüchtlinge war eine unglaubliche Erfahrung.
Wann hast Du beschlossen, Deine Liebe zum FC St. Pauli in einem Buch zu verarbeiten?
Ungefähr 2010 fing ich an, für eine Website namens European Football Weekends kleine Berichte über meine Fahrten zum FC St. Pauli zu verfassen. Die Reaktionen waren sehr positiv, und darum dachte ich mir, ich versuch’s einfach und schreibe ein bisschen mehr. Ich habe dann gut vier Jahre gebraucht, um das Buch fertigzukriegen, schließlich brauchen auch Beruf und Familie Zeit.
Dein Buch beinhaltet sowohl reportageähnliche „Match Reports“ über Deine Erfahrungen am Millerntor als auch Hintergrund-Kapitel über die Geschichte des FC St. Pauli, seines Stadtteils und seiner Fankultur. Wie kamst Du auf diese ungewöhnliche Struktur?
Neben dem Wunsch, meine Erlebnisse mit dem FC St. Pauli und seiner Fanszene aufzuschreiben, gab es eine zweite wichtige Motivation für dieses Buch, nämlich den Mangel an fundierten Informationen in meiner Sprache. Es gibt viele tolle Bücher über den FC St. Pauli auf Deutsch, aber bislang nichts auf Englisch. Der FC St. Pauli wird zwar oft in britischen Medien behandelt, aber die meisten Artikel bleiben bei den üblichen Klischees: Totenkopf, Reeperbahn und Rotlicht, Punks auf den Tribünen. Das ging mir (und anderen britischen Fans) allmählich auf die Nerven, also habe ich versucht, es anders zu machen. Was vielleicht nicht ganz falsch war, denn offenbar spricht das Buch durch den besonderen Kapitelmix einen noch größeren Leserkreis an.